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Brandschutzschalter Spezial: Interview mit Norbert Pauli

„AFDDs anbieten und einbauen – keine Risikobeurteilungen machen“

Portrait von Norbert Pauli

Exklusiv-Interview mit Norbert Pauli

Diesen Mann sollte man als Elektrotechniker kennen: Norbert Pauli hat für den Elektroverband Bayern Position bezogen beim heißesten Branchenthema der letzten 10 Jahre. Die Unsicherheit bei Brandschutzschaltern oder AFDDs ist riesig, das Wissen mit dem Umgang dagegen noch niedrig. Bayern LIVe möchte den Elektrofachbetrieben Orientierung geben und sprach dazu mit Norbert Pauli. Er ist Vorstandsmitglied des Elektroverbandes Bayern und fungiert dort als Landesfachbereichsleiter Elektrotechnik.

 

Früh nahm er eine klare Position zu diesem brisanten Thema ein und hielt beharrlich seine Linie. Die Entwicklung gibt ihm und dem LIV Bayern Recht: Elektrobetriebe sollten sich nicht darauf einlassen, eine Prüfung und Bewertung der Brandschutzgegebenheiten vorzunehmen. Alles Wissenswerte dazu erfahren Sie in diesem Interview, das Bayern LIVe mit Pauli führte.

 

Interview mit Norbert Pauli

Herr Pauli, können Sie noch ruhig schlafen?

Mittlerweile ja, aber die Aufregung um das Thema und die hitzigen Diskussionen haben mich schon in Atem gehalten. Aber jetzt läuft ja alles in die richtige Richtung.

Die Sie von Anfang an vertreten haben…

Darauf kommt es doch gar nicht an. Wichtig ist, dass der Standpunkt technisch und rechtlich Hand und Fuß hat und das ist, denke ich, jetzt der Fall.

Wo liegt denn das Hauptproblem, das diese riesige Branchendiskussion in Gang gebracht hat?

Zunächst wurde im Oktober 2019 die aktuelle DIN VDE 0100-420 veröffentlicht. Wesentlich für uns ist der Abschnitt 421.7, der erheblich überarbeitet wurde und den Schutz vor Auswirkungen von Fehlerlichtbögen beinhaltet und somit auch die Anwendung von   AFDDs regelt. Die derzeitige VDE-Bestimmung empfiehlt, besondere Maßnahmen zum Schutz gegen die Auswirkung von Fehlerlichtbögen in bestimmten Endstromkreisen vorzusehen. Dies betrifft zum Beispiel Räumlichkeiten mit Schlafgelegenheiten oder Räume mit besonderem Brandrisiko. Die überarbeitete Norm sagt nun aus, dass bereits in der Planungsphase zur Erkennung von besonderen Risiken eine – Achtung! - Risiko- und Sicherheitsbeurteilung durchzuführen ist.

Das ist also der Dreh- und Angelpunkt?

Ja, denn wie und durch wen diese Risiko- und Sicherheitsbeurteilung durchgeführt werden soll, wird in der Norm nicht näher beschrieben oder gefordert. Dies hat dazu geführt, dass Fachleute aus unserem, aber auch aus anderen Gewerken die Auffassung vertreten haben, dass Elektrohandwerksbetriebe durchaus in der Lage wären, die erforderliche Risiko- und Sicherheitsbewertung durchzuführen.

Und hier sind Sie anderer Ansicht?

Selbstverständlich. Unsere Mitgliedsbetriebe sind für diese Risikobeurteilung weder ausgebildet und in den überwiegenden Fällen wohl auch gar nicht versichert.

Warum waren sich denn die Fachleute nicht einig?

Letztendlich waren es die Bau- bzw. Holzbauverbände, die mit der Fassung des Unterabschnitts 421.7 von Februar 2016 und der damit verbundenen verpflichtenden Anwendung von AFDDs nicht glücklich waren und daher in der 2019 aktualisierten Fassung der Norm eine Risikobeurteilung forderten. Jetzt soll aber dieser Wunsch durch Fehlauslegung der Norm auf dem Rücken des Elektrotechnikerhandwerks ausgetragen werden, das hier definitiv keine fachliche Zuständigkeit haben kann.

Klingt doch vielversprechend. Der Elektrobetrieb bewertet das Risiko und anschließend kann er gleich den Einbau vornehmen. Alles aus einer Hand und es geht schnell.

Das wäre für alle Beteiligten doch der bequemste Weg gewesen: Der Elektrobetrieb macht die Risikobewertung und baut gleich ein. Also Bewertung und Einbau aus einer Hand. Aber das können wir nicht stemmen. Es war ganz einfach so, dass die ganze aufwendige Diskussion mit dem Kunden bzw. mit dem Errichter auf den kleinen Elektrohandwerker abgewälzt wurde. Die Industrie wollte verkaufen, die Bauträger, Bauunternehmen und Fertighaushersteller haben sich einfach weggeduckt und wir sollten es dann richten. Letztlich kämen wir dadurch doch in eine Zwickmühle: wenn wir erst beraten, das Risiko bewerten und daraus wieder Gewinne generieren, macht man sich beim Kunden unbeliebt. Unsere Kunden wollen das nicht und möchten fair beraten sein. 

Wer hätte das Risiko getragen?

Der Einzige, der dann ein Risiko hat, ist der Elektrobetrieb. Ich kann dazu nur eine klare Empfehlung geben: wir sind für dieses komplexe Thema weder ausgebildet, noch ist es unser Metier. Und wenn dann etwas passiert und womöglich ein Millionenschaden entsteht, dann haftet der Elektrobetrieb, weil er die entsprechende Befähigung nicht nachweisen kann. Ich kann meinen Kollegen nur eines raten: Finger weg!

Einige große Elektrobetriebe sehen darin aber kein großes Problem.

Ja klar, die betreuen so große Projekte, da ist immer ein Brandschutzbeauftragter, der dann ein Brandschutzgutachten erstellt im Spiel, dann komme ich mit dem Thema gar nicht in Berührung. Aber bei den gängigen Projektgrößen ist doch sofort die Frage „Wer macht die Risikobeurteilung?“. Für mich steht fest: Wir nicht.

Können Sie Ihre Auffassung in einem Satz sagen?

Wir wollen den AFDD gerne einbauen und verkaufen, aber wir wollen nicht die Risikobeurteilung machen. Im Gegenteil, ich wollte die ganze Beweislast einfach umdrehen: Wenn der Kunde keinen AFDD möchte, dann soll er uns eine entsprechende Risikobewertung vorlegen. Eigentlich ganz einfach.

Was sagt denn die Norm?

Die normative Sachlage ist so, dass man das Risiko bewerten muss. Wenn die Bewertung zu dem Ergebnis kommt, dass kein Risiko vorliegt, dann brauche ich keinen AFDD. Wenn ein Risiko vorliegt, dann muss ich entsprechende Maßnahmen treffen. Eine dieser Maßnahmen -und das ist die von uns bevorzugte - ist der Einbau eines AFDD.

Sie sind auch als Sachverständiger tätig. Wären Sie in der Lage, so eine Risikobeurteilung durchzuführen?

Nein. Definitiv nicht. Wir haben das im November 2019 auf der Tagung der vereidigten Sachverständigen aus Bayern und Baden-Württemberg besprochen. Kein einziger der ca. 50 anwesenden Kollegen hätte sich diese Risikobewertung zugetraut. Wir müssten zum Beispiel bewerten, wie Holzbauteile bei einem Haus in Holzständerbauweise beschaffen sind, wann diese brennbar sind. Wir können das nicht und es ist auch nicht unsere Aufgabe. Genauso wenig kann ich in einem Wohnhaus das Gewerk eines Zimmerers beurteilen. Das wäre umgekehrt genauso, wenn der Zimmerer mein Gewerk beurteilen müsste. Das kann er auch nicht.

 

Wer sollte denn dann eine Risikobeurteilung durchführen?

Eine baurechtlich anerkannte Person, ein Architekt, ein Brandschutzgutachter, auf jeden Fall jemand, der die dazu notwendige Ausbildung erhalten hat und das auch nachweisen kann. Diese Personen verfügen dann auch über die dazu notwendige Vermögensschadenhaftpflicht, wem etwas schiefgehen sollte. Unsere Haftpflichtversicherung deckt nur das ab, was wir in unserem Elektrohandwerksbetrieb umsetzen. Wenn ich dem Kunden eine Einschätzung über die Brennbarkeit seiner Baustoffe geben würde und es passiert etwas, dann wird mich jeder fragen „Wie kommst Du zu Deinem Wissen?“. Dieses Wissen könnte ich im Zweifelsfall nicht nachweisen.

Setzen Sie in Ihrem Betrieb AFDDs ein?

Wir verbauen das Produkt permanent, auch in Gebäuden, in denen es nach Norm nicht erforderlich wäre.

Einmal angenommen, ein Elektrofachmann stellt bei einem E-CHECK fest, dass in einem Gebäudeteil eine Problemzone existiert. Eine Risikobeurteilung soll er ja nicht machen. Kann er seinem Kunden den Einsatz eines AFDD empfehlen?

Er kann grundsätzlich den Einsatz eines AFDD empfehlen, das Produkt an sich ist ja gut. Ein AFDD ist ein zusätzlicher Sicherheitsnutzen für das Gebäude und darüber hinaus, es sichert ja in gewisser Weise auch die Geräte, die angesteckt werden.

Das wäre wie ein zusätzlicher Schutzschirm für Gebäude und Geräte. Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Wenn an einer Steckdose ein Verlängerungskabel anstecke und dieses mehrfach geknickt wurde, dann kann dort ein serieller oder paralleler Lichtbogen entstehen und diesen Fehler würde der AFDD erkennen. Die Sicherheit geht damit über die elektrische Anlage hinaus bis zum Gerät, das angeschlossen ist.

Wo kann ein AFDD eingesetzt werden?

Ein AFDD eignet sich für Neuanlagen, Sanierungen und Erweiterungen.

Damit wär des ja a gmahde Wiesn wie man in Bayern sagt?

Von wegen! Der Knackpunkt kommt nämlich jetzt ins Spiel: Als Errichter muss ich den Kunden darauf hinweisen, dass es das Produkt gibt, ähnlich wie das bei einem FI-Schutzschalter ja auch der Fall ist. Wenn der Kunde dann erklärt, dass er das Produkt nicht möchte, dann muss eine Risikobewertung erstellt werden, aus der hervorgeht, dass der Einsatz eines AFDD gerade hier nicht notwendig ist. Und diese Risikobewertung muss der Kunde beisteuern, d.h. er muss uns Elektrofachleuten diese vorlegen. Er ist im Zweifelsfall dazu verpflichtet. Der Kunde sagt uns also „Lieber Elektrofachmann, ich habe kein Risiko, ich brauche hier nichts.“ Oder aber er sagt „Ich habe ein Risiko und muss Maßnahmen ergreifen“. Das kann dann ein AFDD sein, das können aber auch organisatorische oder anlagentechnische oder bauliche Maßnahmen sein. Zum Beispiel die komplette Leitungsverlegung in Beton, es gibt da mannigfaltige Möglichkeiten.

Nun gibt es Unterlagen, bzw. Beurteilungsbögen im Internet zum Download. Wie steht es damit?

Diese sind als Hilfe und Leitfaden für Bauherren und nicht für Elektrohandwerksbetriebe gedacht. Ich gehe davon aus, dass dies künftig auf den Unterlagen deutlich gekennzeichnet wird.

Was antworten Sie einem Kollegen, der fragt „Herr Pauli, was soll ich tun?“

  1. Den Kunden vorher wie beschrieben zum AFDD informieren. Nutzen sie dazu das Muster-Anschreiben des Landesinnungsverbandes. Die Norm empfiehlt schließlich Maßnahmen gegen Fehlerlichtbögen. Wir packen den AFDD in jedes Angebot mit rein einschließlich der normativen Empfehlung.
  2. Wenn der Kunde das Produkt eingebaut haben möchte: Einbauen. Die Risikobeurteilung dazu muss der Kunde vorher beisteuern, diese kann aber dann stark vereinfacht erfolgen.
  3. Wenn der Kunde das Produkt nicht eingebaut haben möchte, muss er die entsprechende Risikobeurteilung beibringen. Nach dieser wird dann verfahren.
  4. Wenn er eine Beurteilung gegen den AFDD vorlegt, diese gut aufbewahren, auch über die üblichen 10 Jahre hinaus.

Die Betriebe können auch ohne Risikobeurteilung den Einbau eines AFDD empfehlen?

Natürlich. Der AFDD ist eine anlagentechnische Maßnahme bei besonderen Risiken. Ich empfehle das Produkt sowieso, genau wie ich eine entsprechende Anzahl an Fehlerschutzschaltern empfehle. Wenn der Kunde dann sagt, dass er den AFDD nicht möchte, weil zu teuer, dann muss ich den Kunden aufklären.

Wie würden Sie dann argumentieren?

Lieber Kunde, schau, das sagt die Norm, ich muss Dir den Einbau eines AFDD empfehlen. Ansonsten brauchen wir eine Risikobeurteilung. Bauen wir einen AFDD ein, dann ist die Risikobeurteilung für Dich relativ einfach. Bauen wir ihn nicht ein, dann musst Du mir die Risikobeurteilung entsprechend umfangreich beibringen und nachweisen, dass Du den AFDD nicht brauchst.

Das heißt AFDDs proaktiv empfehlen und bei Ablehnung die Risikobeurteilung einfordern?

Genau, damit wäre man als Betrieb auf jeden Fall auf der sicheren Seite.

Haben Sie noch einen Tipp für unsere Leser parat?

Wer alles Wichtige in 10 Minuten zum Thema AFDD sehen will, der sollte sich das AFDD FAQ ansehen.

Herr Pauli, vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch.

 

Info Norbert Pauli

Ausbildung im Elektrohandwerk, 2001 Meisterbrief der Elektrotechnik und Meisterpreis der Bayerischen Staatsregierung. Anschließend Tätigkeit in Ingenieurbüros. 2005 Gründung des eigenen Betriebs in der Region Passau. 2017 Bestellungsurkunde zum öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen im Elektrotechnikerhandwerk. Seit Juni 2018 vom VdS anerkannt als Sachverständiger zum Prüfen elektrischer Anlagen nach Sachgebietsklausel 3602. Im Jahr 2018 wurde Norbert Pauli als Landesfachbereichsleiter Elektrotechnik des Landesinnungsverbandes für das Bayerische Elektrohandwerk gewählt, 2019 wurde er in den Vorstand des Landesinnungsverbandes berufen.

Hier erfahren Sie mehr: Das AFDD FAQ

Das Muster-Anschreiben, das der Elektroverband Bayern seinen Mitgliedern zur Verfügung stellt finden Sie hier

 
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